Ausgezwitschert

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Ich bin ja grundsätzlich ein fast grenzenloser Optimist. Früher habe ich mit meinem Optimismus auch so gut wie immer irgendwie recht behalten. In der letzten Zeit wurde meine “Trefferquote” aber immer geringer.

Irgendwie hat es Trump geschafft, Präsident zu werden, nach den ersten paar Corona Meldungen Anfang 2020 habe ich gedacht, ich verschiebe meinen Thailand Urlaub einfach um ein paar Wochen und beim russischen Angriffskrieg auf die Ukraine war ich mir auch relativ sicher, dass man dem Putin in Moskau schon nach wenigen Tagen das Gas abdrehen würde.

Mein persönliches Gefühl sagt mir, dass das Leben am Planeten Erde immer mehr von “unsichtbaren” Mächten beeinflusst wird. Bevor es schwurbelig wird: Nein – ich spreche nicht von Echsenmenschen, Deep State und Lichtkriegern, die im Orbit warten.

Ich spreche von Plattformen wie Twitter, Facebook und anderen sogenannten sozialen Medien. Soziale Medien. Was genau ist daran eigentlich noch “sozial”? Waren diese Medien jemals “sozial”?

Gesichter in Büchern

Von Facebook bin ich mittlerweile seit einiger Zeit weg. Die Werbung und ein zu stark auf politische Themen gelenkter Algorithmus haben mich von dort vertrieben. Die tatsächlich für mich interessanten Postings von den eigenen Freunden wurden immer weniger. Zumindest wurden sie immer weniger in meinen eigenen Feed gespielt.

Facebook ist bei der Generation 40+ wohl am meisten daran schuld, dass viele Menschen mit Fakten herumlaufen, die keine Fakten sind, sondern die einfache Meinung eines anderen. Besonders schwierig wird es, wenn die Meinung des anderen bewusst und mit einer gewissen Absicht in die Welt gesetzt wurde.

Der ortsbekannte Dorfschwurbler hat nun plötzlich ein Millionenpublikum zur Verfügung und kann ungehemmt erklären, warum am Ukraine Krieg eigentlich die NATO schuld ist, wir bald alle einen Chip implantiert bekommen und dass Hitler 1945 mit einem U-Boot in die Antarktis geflüchtet ist. 

Meinen Facebook Account habe ich Ende 2020 gelöscht. Er wurde 11 Jahre alt.

Der hat einen Vogel

Ähnlich früh wie Facebook ist bei mir Twitter eingezogen. Im krassen Unterschied zu Facebook habe ich Twitter fast ausschließlich passiv – also als Zuhörer – genutzt. Twitter war schon immer wesentlich anders und hat sich für mich als Plattform für ultraschnelle Informations-Recherche etabliert.

Das WhoIsWho der internationalen Spitzenpolitik und Medien war schnell auf Twitter vertreten. Etwas zaghafter begann in den vergangenen Jahren auch die heimische Vogelwelt zu zwitschern.

Breaking News bekamen nun eine ganz neue Bedeutung, denn bevor man auch nur eine einzige Silbe auf einer Zeitungs-Website lesen konnte, war man bereits auf Twitter informiert. Terroranschläge, Flugzeugabstürze oder politische Untersuchungsausschüsse wurden plötzlich zu digitalen Live-Events.

Wenn da nur nicht wieder das Problem mit Meinungen und Fakten wäre. Man braucht schon einen starken Filter, um auf Twitter (bewusste) Falschinformationen von echten Tatsachen zu unterscheiden.

Viele Menschen haben diesen Filter nicht und sind schutzlos einer ungeheuerlichen Flut an Algorithmus gelenkten Informationen ausgesetzt. Bei der Verarbeitung solcher Informationen ist schnell einmal etwas dabei, was ganz leicht in das eigene Weltbild passt und daher richtig sein muss. Einfache Antworten auf komplizierte Fragen? Twitter wurde zum 140 (später 280) Zeichen Paradies für die Demagogen und Populisten unserer Zeit.

Medial ging es mit Twitter gerade in den letzten Jahren steil bergauf. Zumindest in Österreich fand man spätestens seit der Ära Trump fast bei jedem innenpolitischen Zeitungsartikel mindestens ein Kommentar oder eine Meinung direkt von einem Twitter User. Staatsoberhäupter kündigten Klimaschutzverträge auf Twitter, CEOs kündigten Mitarbeiter über Twitter und der eine richtete dem politisch Andersdenkenden bevorzugt über Twitter seine Meinung aus. Immer mit dem Hintergrund der erhofften medialen Aufmerksamkeit.

Als dann vor wenigen Monaten seine digitale Herrlichkeit selbst, das selbsternannte Silicon Valley Genie und der Erlöser unserer Zeit, Elon Musk, das Ruder bei Twitter in die Hand nahm, wurde offenbar jede Tageszeitung dazu verpflichtet, mindestens zwei Elon Musk Artikel täglich abzudrucken (bzw. online zu stellen).

Besser geworden ist die Plattform unter diesem nächsten “Stable Genius” jedenfalls nicht. Im Gegenteil. Nachdem zum Auftakt gleich einmal die Accounts von Internet-Terroristen wie Trump und Andrew Tate und diversen offenkundigen Nazis wiederhergestellt wurden, gingen die Wogen hoch. Zu recht. Dass der Erfolg von Musk primär auf dem Prinzip “Große Klappe zur richtigen Zeit” beruht und wenig mit einer dauerhaften Genialität zu tun hat, wurde ihm auf Twitter eher zum Verhängnis. Mit Populismus alleine kann man eben weder Staaten noch Unternehmen führen.

Neben den rechten Diskurs-Zerstörern macht aber auch die sogenannte linke Bubble absolut kein gutes Bild. Diskussionen (mangels Ausdrucksfähigkeit und Zeichenbeschränkungen ohnehin sinnlos) biegen oft nur mehr in Whataboutism und künstlich hochgeschaukelte Scheindiskussionen ab. “Strategisch Notwendiger Unsinn (SNU)” – wie unlängst von Message Control Spezialist Gerald Fleischmann definiert – lenkt die Aufmerksamkeit von wirklichen Problemen ab. SNU ist in Wahrheit keine Erfindung von Fleischmann – SNU gibt es schon lange.

SNU ist bei der Diskussion über Klimaziele lieber über die Haarfarbe oder die Augenanordnung einer vortragenden Protagonistin zu sprechen. SNU ist es, sich an populären Accounts mit fiktiven Anschuldigungenen hochzuziehen und somit, teils unbewusst, von den wirklichen Problemen abzulenken (Beispiel: Gronkh/Transgender Debatte). SNU ist, eine skandinavische Spitzenpolitikerin wegen Partyfotos zu kritisieren, statt über ihre Politik zu schreiben.

SNU oder “Flood the zone with shit” und wie man es auch immer nennen mag, ist der Untergang der (sozialen) Medien und immer mehr auch des täglichen Diskurses. Twitter hat diese Kommunikationstechnik unbewusst perfekt unterstützt oder vielleicht sogar erst ermöglicht. SNU verdrängt dabei oder dadurch auch immer mehr die echten (politischen) Probleme unserer Zeit aus den Medien. Der Algorithmus sorgt dafür, dass solche künstlich gepushten Beiträge viel besser verbreitet werden. Nicht nur das. Der Algorithmus kategorisiert solche Beiträge dann ganz oben im Bereich “Relevant für dich”.

Ich habe meinen Twitter-Account gestern deaktiviert. Das Doom-Scrolling durch unzählige Bullshit-Kommentare unter einem evtl. wichtigen Beitrag hat mir nicht nur Lebenszeit, sondern auch Nerven gekostet. Ich habe noch 29 Tage Zeit, meine Entscheidung rückgängig zu machen. Schon jetzt merke ich, dass mir Twitter bei Recherchethemen abgeht. Ich habe 29 Tage Zeit, alternative Möglichkeiten zu finden oder mit einem anderen geistigen Ansatz zur Plattform zurückzukehren.

Ansonsten wurde @ch0heneder 13 Jahre alt.

Was bleibt mir jetzt noch, neben meinem echten Leben im hier und jetzt? Klar.

Instagram.

Instagram ist in meinem digitalen Leben erst halb so alt wie es Facebook und Twitter geworden sind. Aber auch Instagram hat mir schon meine persönlichen Grenzen gut aufgezeigt.

Nirgendwo sonst gibt es wohl mehr falsche Tatsachen wie auf Instagram. Instagram hat den digitalen Fotofilter für das Smartphone erfunden, könnte man meinen. Menschen filtern sich “schöner”. Menschen filtern Situationen “schöner”. Menschen nehmen gefilterte Ideale als ihre eigenen an und zerbrechen daran.

Egal welcher Trend gerade zieht. Instagram pusht ihn automatisch.

In der perfekten Welt der Do-it-yourself Sternchen sehen wir ein perfektes Leben, ultraperfekte Urlaube und unheimlich schöne Körperpartien. Wir sehen Bauchmuskeln, wo keine sind, makellose Gesichter und stets ideal gebräunte Beine, kombiniert mit den aktuellen Nagellack-Trends.

Die virtuellen Ideale zögern nicht, ihr Erfolgsmodell auch an andere, interessierte und begeisterte User zu verkaufen. Klatsch dir diese 26 Beauty-Produkte täglich ins Gesicht und du wirst so aussehen wie ich (und mein Filter). Nimm diese 38 Gemüse-Koffein-Bullshit Kapseln und du wirst genauso fit und vital wie ich (und mein Filter). Mit diesem Proteinpulver und den 12 anderen Nahrungsergänzungsmitteln werden deine Muskeln bald genauso pumpen wie die meinen (mit ihrem Filter).

Richtig schlimm wird es dann, wenn die versprochenen Präparate auch mit medizinisch nicht haltbaren Aussagen kombiniert werden. Auch wenn hier seitens Community und Instagram selbst mittlerweile darauf geachtet wird, kommt doch wieder immer wer damit durch, ein Algen-Extrakt als Krebs-heilend zu verkaufen.

Dann gibt es noch den Dienstleistungssektor. Für jede nur erdenkliche Lebenslage findet man einen Coach, einen Berater oder ein Vorbild. Teilweise nimmt das dann sektenähnliche Zustände an. Als Beispiel zählt hier wieder der schon weiter oben erwähnte Kickbox-Typ. Richtig Problematisch auch hier, wenn das Instagram Coaching eine Psychotherapie oder das Instagram Mental-Training den Besuch beim Hausarzt ersetzen soll.

Instagram war lange eine heile Welt für mich. Vor einigen Jahren war der Feed noch ok. Die Werbung war gering, man hat die Postings seiner Freunde gesehen. Mittlerweile kommen gefühlt auf ein Freunde-Posting zwei gesponserte oder direkte Werbepostings. Und auch wenn ich Instagram schon 20 mal mitgeteilt habe, dass ich keine Haartransplantations-Werbung sehen will, kommt sie immer wieder mal.

Ich befürchte, dass mein Instagram Account wohl nicht ganz so alt werden wird wie meine FB oder Twitter Konten. Zumindest nicht, wenn sich auch dort die Situation nicht verbessert.

Aktuell fokussiere ich mich bei sozialen Medien auf eher untypische Varianten. Signal bietet jetzt auch Stories an (WhatsApp schon länger) und man kann seinem engen Freundeskreis ohne Werbung ein paar Urlaubseindrücke reindrücken. Spammer oder Schwurbler Accounts blendet man einfach aus. Es gibt keinen Algorithmus, der einem nur das zeigt, was man vermeintlich sehen möchte.

Macht das Beste aus euren Social Media Accounts. Löscht sie, wenn sie euch nachdenklich, traurig machen oder sogar verängstigen. Löscht sie, wenn euch die Werbung nervt oder euer Bauchgefühl sagt, dass ihr das eigentlich gar nicht mehr alles sehen wollt. Löscht sie, wenn ihr euch zum hundertsten Mal über Troll-Kommentare unter einem Artikel aufregt. Löscht sie, wenn sie euch mehr Zeit kosten als Lebensqualität bringen.

Foto by Prateek Katyal / Unsplash

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